Das Baby an sich nutzt ja eher undifferenzierte Formen der Kommunikation. Kurz: Es schreit.
Kommunikationswissenschaftlich gesprochen: Ein hörerzentrierter Ansatz. Die Interpretationsleistung findet auf Seiten der Empfänger – sprich der Eltern – statt. Da wir gelernt haben, das Kommunikation (auch oder vor allem unter Erwachsenen) prinzipiell fallibel ist, kommt es nicht selten zu Missverständnissen.
Und wer das Baby falsch interpretiert, hat verloren.
Eine elterliche Todsünde ist es, ein Bespaßungschreien mit einem Müdigkeitsschreien zu verwechseln. Niemand brüllt schöner, als ein übermüdetes Baby, das von seinen Eltern missverstanden und mit Bespaßungsversuchen in seinem Ruhebedürfnis gestört wird. Die Folge: Wir müssen büßen. Um Absolution zu erlangen, wird das Baby stundenlang durch die Wohnung getragen. Keinesfalls dürfen wir uns hinsetzen oder -legen und versuchen, mit einer Schaukelbewegung die Gehbewegung zu imitieren. Das gilt als Täuschungsversuch und wird sofort abgestraft: Extrarunde!
Doch kommt Zeit, kommt Rat: Die Fehlversuche beim Ruhigstellen werden weniger. Wer genau hinhört, erkennt in dem anfangs als simples „Schreien“ abgetanen Ausdrucksverhalten des Babys die Unterkategorien brüllen, weinen, jammern, quengeln, knöttern, janken, jaulen, maulen, knatschen. Was das genau bedeutet muss einzelfallabhängig ausgehandelt werden. Doch es entstehen Erfahrungswerte.
Neulich habe ich mich sicher gefühlt und total muttiprofimäßig über mein vor Publikum quengelndes und schreiendes Baby die wagemutige These aufgestellt: „Die ist jetzt müde“ – und mich damit selbst unter Druck gesetzt.
Das Kind ist müde.
q.e.d. – quod esset demonstrandum
Auf die These folgt die Beweisführung: Schnulli ins Kind, Kind hingelegt, Köpfchen gestreichelt und zugeguckt, wie sich die Äuglein schließen, die Muskulatur erschlafft, das Nuckeln aufhört, der Schnuller aus dem Mund fällt – Strike!
Unauffällig den Schweiß von der Stirn wischen und ein abgeklärtes „Das hab ich sofort gesehen. Sie hatte ganz glasige Augen“ hinterherschieben – fertig ist die Supermutti.
Das Kind war müde.
q.e.d. – quod erat demonstrandum.
Und um noch ein bisschen verklärten Elternkitsch einzubauen: All das Schreien gerät in Vergesseneheit, wenn das Kind eine neue Ausdrucksform in sein Repertoire aufnimmt: Das Lächeln.
Sehr schön auch die kommunikationswissenschaftliche Perspektive vertreten. Wobei mir ein Exkurs zum appelativen Charakter des Schreis gefehlt hat…