Das Schöne an einem Kleinkind von fast zwei Jahren ist: Es ist kein hilfloses Baby mehr, sondern eine eigene und willensstarke Persönlichkeit.
Das Schlimme daran ist: Es ist kein hilfloses Baby mehr, sondern eine eigene und willensstarke Persönlichkeit.
Erschwerend in unserem Erziehungskampf kommt hinzu: Mir scheint die natürliche Autorität zu fehlen, die einer Mutter ganz gut zu Gesicht steht. Ein von mir ausgesprochenes „Nein“ interessiert meine Tochter nur nach Lust und Laune – und meistens ist ihr nicht danach.
Vor allem nicht in der Öffentlichkeit.
Andererseits ist „nein“ (neben „alleine“, „meins“ und „mehr“) eines ihrer Lieblingswörter. Sie benutzt es mehrmals täglich und erwartet, dass man es respektiert. Sonst gibt es richtig Ärger.
Im Supermarkt läuten meine Tochter und ich unsere große Showeinlage mit folgendem Dialog ein:
Sie: „Klade! Klade!“ (meint: irgendwas von der Quengelware, mit Schokolade, am besten alles)
Ich : „Nein!“ – gefolgt von irgendeiner mütterlichen Erklärung wie: „Du hattest gerade ein Eis“ / „Wir essen jetzt erst etwas Richtiges“ oder „Es ist egal was ich sage, für Argumentation bist du ja nicht zu haben. Also einfach nein!“
Meine Erläuterungen hört sie auch nicht mehr, denn das „Nein“ ist ihr Stichwort und sie gibt alles: Sie schmeißt sich auf den Boden, vergräbt ihren Kopf in ihren verschränkten Armen, trommelt mit den Füßen auf den Boden und schreit „Klade, Klade! Klaadeee!“
Ich : „Komm‘ jetzt!“
Sie: „Neiiiin! Klade! Klade!“
Ich: lege drei Bananen und eine Packung Frischkäse aufs Band, klemme mir das Kind unter den Arm, versuche, passend zu zahlen und unerkannt zu verschwinden.
Das Problem an dem „Erziehung-versus-Kinderwille-Kampf“ ist: Manchmal ist es schwierig ein überzeugtes „Nein“ beizubehalten und mütterlich-mahnend zu gucken wenn, das Kind wegen eines verweigerten Duplos ein Supermarkt-Drama aufführt und dabei in seiner als vollkommen angemesse Reaktion empfundenen Wut irgendwie ganz lustig aussieht.
Nach jedem Wutanafall rechne ich damit, beim Verlassen des Ladens abgeführt und als inkompetente Rabenmutter öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Aber wahrscheinlich trauen die Polizisten sich nicht ran an das Wutbaby und wir sind schneller weg, als die Verstärkung kommt.
Oder sie erkennen meine Tochter nach den Augenzeugenbeschreibungen nicht als das Wutbaby wieder, denn sobald wir backstage (also auf dem Parkplatz) sind, ist die Show auch schon vorbei, das Wutrot verschwindet aus ihrem Gesicht und sie sieht wieder aus, wie ein unschuldiges Kind. Denn auf dem Parkplatz gibt es viele spannende Dinge zu sehen, wie Autos, andere Kunden oder, wenn wir Glück haben, sogar einen angeleinten Hund, der ihre volle Aufmerksamkeit fordert.
Manchmal ist man als Mutter an seiner Misere aber selbst Schuld.
Meine Tochter spielt seit kurzem „mädchenhaftes Mädchen“ und mag besonders gern Lippenstifte, oder um es mit ihren eigenen Worten zu sagen „Lippe-Dif“. Ich besitze genau einen teuren Lippenstift, den ich zwar nie benutze, ihr aber auch nicht zum Fraß vorwerfen wollte. Dafür habe ich aber in jeder Handtasche etwa acht Labellos, an denen sie ihre Schminkkünste trainieren kann.
Und sie macht ihre Sache gut: Sie dreht denn Stift konzentriert aus seiner Hülle, tupft sich ganz ladylike auf den Lippen herum, zermatscht ihn manchmal ein wenig aber tut immer so, als könne sie schon damit umgehen.
Auf dem Rückweg von ihrem letzten Auftritt (es war ein Edeka-Markt, dort geht es meist um Schokolade. Bei Rewe hingegen um Eis und bei Aldi um Zigaretten oder Batterien. Wir können unsere Show jedem Sortiment anpassen) sah sie dann ihre Chance kommen und hat meine Gutgläubigkeit schamlos ausgenutzt.
Sie saß hinten im Autositz und forderte mit einem zuckersüßen Lächeln und einem gekonnten Augenaufschlag einen „Lippe-Dif“. Ich wühlte in meiner Tasche und gab ihr den ersten Labello, den ich zu packen bekam. Das war leider nicht der farblose, sondern der, der etwas Leben auf die abgespannten und blutleeren Mutterlippen zaubern soll: Kirsch.
An der ersten Ampel blickte ich im Rückspiegel schon in das rot getupfte Kindergesicht. Ich streckte meine Hand aus, um ihr den Stift wegzunehmen. Sie hielt ihn ganz nah an ihren Körper und rief: „Nein! Meiner! Meiner Lippe-Dif!“ Ich schaffte es mal wieder nicht, durch einen besonders autoritären Blick oder durch Supermuttikräfte ihre Hände dazu zu bewegen, sich auszustrecken und mir freiwillig den Stift wiederzugeben. Hinter mir begann es zu hupen und ich fuhr weiter. An der nächsten Ampel blickte ich in eine schreckliche kirschrote aber grinsende Fratze und das Spiel wiederholte sich. Ich entschied mich, das einzig Richtige zu tun – und machte ein Foto.
Haha! Das ist ein wirklich wundervoller Beitrag und ich kann mich noch zu gut an mein zweijähriges Mädchen erinnern, das sich mit vollendeten zweiten Geburtstag in einen Wutzwerg verwandelt hat. Dieses nervenzehrende Verhalten hielt genau ein Jahr und nun nähert sich in ein paar Wochen der zweite Geburtstag meines Sohnens. HILFEEEEEE!