Elterngeschichten – Der Pflegepapa

Nils ist Mitte zwanzig, als sein Kinderwunsch konkret wird.
Aber: Nils ist Single.
Und: Nils ist schwul.
„Eine eher ungünstige Kombination“, wie er selbst sagt.
Heute ist Nils Anfang dreißig und seit drei Jahren Papa – Pflegepapa des fünfjährigen Noah.
In seiner Stadt ist er der einzige alleinerziehende Pflegevater. Er kämpft oft mit den normalen Herausforderungen des Elternseins und manchmal gegen Ressentiments gegenüber schwulen Vätern.

Noah zieht ein

In der ersten Nacht, in der Noah im Kinderzimmer nebenan schläft, macht Nils Fischer* kein Auge zu.
Bin ich der Verantwortung gewachsen?
Nils grübelt.
Wie wird der Kontakt zur Mutter sein?
Er wälzt sich hin und her. Durchs Babyfon hört er Noah gleichmäßig atmen. Trotzdem geht er immer wieder rüber, um nach dem Kleinen zu sehen.
Wird er Vertrauen zu mir fassen können?

img_2515Es ist ein kalter Wintermorgen. Draußen lässt der Tag sich noch lange nicht blicken. Um fünf Uhr steht Nils auf und duscht ausgiebig. Er kocht Kaffee, füllt Haferflocken in die hellgrüne Schüssel mit dem Elefanten darauf und stellt Milch und Honig daneben. Er schleicht auf Socken ins Kinderzimmer.
Noah schläft.
Um halb sechs sitzt Nils mit seinem Kaffee am Küchentisch und sagt laut zu sich selbst: „Ich bin jetzt Papa. Ich schaffe das!“

Dann wird Noah wach. Er holt ihn aus seinem Bettchen und ihr gemeinsames Leben beginnt.

Das war an einem Samstag im Dezember 2013. Tags zuvor war Noah bei Nils eingezogen.
Noah ist Nils‘ Pflegesohn. Als er zu Nils kommt, ist er zwei Jahre und zwei Monate alt.

In der Anzeige stand: „Schwuler Mann zur Familiengründung gesucht“

Seit Nils Mitte zwanzig war, verspürte er einen Kinderwunsch. „Ein leibliches Kind, das ist für einen alleinstehenden Schwulen wohl utopisch“, sagt er und lacht.

Wir sitzen an Nils‘ Küchentisch, an dem er seit drei Jahren jeden Morgen mit Noah frühstückt. Am Kühlschrank halten Magnete Noahs Zeichnungen fest. Die Müslischale mit dem Elefanten steht neben anderem bunten Geschirr im Regal. Die Kaffeemaschine gluckert.
„Kinder gehörten immer in meinen Lebensentwurf. Also habe ich mich in alle Richtungen informiert. Über Samenspende, Adoption und Pflegekinder“, sagt der 33-Jährige.

In einem Internetforum stößt er auf ein lesbisches Paar, das unter der Überschrift „Schwuler Mann zur gemeinsamen Familiengründung gesucht“ nach einem Vater für sein Kind Ausschau hält. Nils lernt die beiden Frauen kennen. Sie verstehen sich gut, treffen sich einige Male. Die Chemie stimmt. Eine der Frauen möchte per künstlicher Befruchtung von Nils schwanger werden.

„Sie haben immer betont, dass sie nicht nur einen Samenspender suchen, sondern vor allem einen Vater. Das Sorgerecht wollten wir uns teilen. Mit den beiden habe ich mich gut verstanden und wir konnten uns eine Familie gut vorstellen. Wir hatten schon einen Termin beim Anwalt vereinbart, um alle Formalitäten zu regeln“, erzählt Nils.

Je näher der Termin rückt, umso weniger wohl ist ihm bei der Sache. Er fragt sich, wie viel man für ein noch nicht gezeugtes Kind in einer künstlich angebahnten Elternschaft planen kann. Wie sich das Verhältnis zu den beiden Frauen entwickeln würde, kann er nicht einschätzen. „Ich hatte ganz einfach ein komisches Bauchgefühl“, bringt er es auf den Punkt.

Nils sagt die Familienplanung ab. „Die beiden wohnten gut 80 Kilometer entfernt. Wahrscheinlich wäre ich da maximal Wochenendvater geworden. Das war mir zu wenig. Ich hatte Angst, dass es doch schwieriger wird, als wir es uns in der anfänglichen Euphorie ausgemalt haben.“
Nils macht eine Pause und nippt am Kaffee. „Hätten die beiden bei mir um die Ecke oder wenigstens in der gleichen Stadt gewohnt, hätte ich es bestimmt gemacht.“

Nils überdenkt seinen Kinderwunsch und kommt zu dem Schluss, dass es ihm gar nicht wichtig ist, ein leibliches Kind zu haben.

Den Gedanken an eine Adoption verwirft er schnell. Zwar dürfen Alleinstehende nach deutschem Recht ein Kind annehmen, der Prozess ist aber langwierig. „Alles, was ich darüber gelesen habe, schreckte mich ab: Ehepaare werden bevorzugt, man muss lange warten. Das war nicht meine erste Wahl.“

Aus seinem Beruf als Sozialpädagoge kennt er viele Familien, die Pflegekinder bei sich aufgenommen haben.

Ich wusste gar nicht, ob die mich ernst nehmen würden

Nils meldet sich beim Jugendamt in seiner Stadt. Als er die Nummer wählt, hat er Herzklopfen. „Ich hatte Angst, ausgelacht oder direkt abgewiesen zu werden. Ein schwuler, alleinerziehender Pflegevater – ich wusste gar nicht, ob ich überhaupt in Frage kommen würde, ob die mich dort wirklich ernst nehmen.“

Sie nehmen ihn ernst.
Nils wird zu einem ersten Gespräch eingeladen.
Der Jugendamtsmitarbeiter, Herr Schmidt*, hinterfragt Nils‘ Motivation, sich als Pflegevater zu bewerben.
„Die wollen sichergehen, dass da nicht jemand kurzentschlossen Papa spielen möchte und dann nach zwei Wochen merkt, dass es ihm zu anstrengend ist. Ist doch klar“, fasst Nils das Gespräch zusammen. „Das machen die bei allen, die sich für ein Pflegekind interessieren. Dabei ist es egal, ob es ein verheiratetes oder unverheiratetes, ein heterosexuelles oder homosexuelles Paar ist oder eben eine alleinstehende Person, wie ich.“ Nils sagt immer ‚alleinstehend‘. Nicht ‚Single‘. „Alleinstehend hört sich erwachsener an“, findet er.

Wie werde ich Pflegevater? Nils füllt einen sechsseitigen Bewerbungsbogen aus

An einem warmen Frühlingstag sitzt Nils nach Feierabend in einem Straßencafé und füllt einen sechsseitigen Bewerbungsbogen aus. Darin wird auch gefragt, ob das zukünftige Pflegekind Beeinträchtigungen haben darf. Dazu gehören geistige Behinderungen oder psychische Probleme, z.B. durch emotionale Vernachlässigung. „Pflegekinder sind oft Kinder, die schon in ganz jungen Jahren viel durchgemacht haben“, sagt Nils und schüttelt den Kopf.

Nils ist studierter Sozialpädagoge und arbeitet mit geistig und körperlich behinderten Kindern. „Vielleicht liegt es an meinem beruflichen Hintergrund. Ich habe ohne zu zögern einfach überall ‚Ja‘ angekreuzt“, sagt Nils. „Ob Junge oder Mädchen war mir auch egal. Wenn man ein eigenes Kind bekommt, nimmt man es ja auch mit allem, was es mitbringt an. Ich wollte das bei meinem Pflegekind genauso machen.“

Nils‘ Familie sichert ihm Unterstützung zu

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Noah und sein Opa im Urlaub an der See

Nachdem klar war, dass Nils als Pflegevater in Frage kommt, spricht er mit seiner Familie. Seine Eltern leben getrennt, haben aber guten Kontakt. Beide sichern ihm Unterstützung zu. Mit seinem Arbeitgeber vereinbart er, dass er sechs Wochen Urlaub nehmen kann, sobald er ein Pflegekind bekommt.

Nils weiß, dass er der einzige alleinerziehende Pflegevater in seiner Stadt sein wird. „Wahrscheinlich bin ich da auch deutschlandweit ein Exot. Meistens sind es doch Frauen oder Paare, die ein Pflegekind bei sich aufnehmen möchten.“

Im Sommer besucht Nils ein Seminar für angehende Pflegeeltern. „Dort war ich der einzige Alleinstehende. Es waren mehrere heterosexuelle und zwei lesbische Paare dabei.“ Ein Mann hat seine Vorbehalte Nils gegenüber offen angesprochen. „‚Mit dir stimmt doch was nicht‘, hat der gesagt. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten. Das war ein ganz bodenständiger, eher hemdsärmeliger Typ, eigentlich herzensgut. Der kannte Schwule bisher nur aus dem Fernsehen“, erzählt Nils und lacht.

Er wünscht sich, dass seine sexuelle Orientierung nicht so sehr in den Vordergrund gestellt wird. „Für Noah ist es doch egal, ob ich alleinerziehend bin, weil ich keine Frau habe oder weil ich keinen Mann habe. Hoffe ich jedenfalls.“

An einem sonnigen Herbstnachmittag geht Nils mit seinem Labrador Rusty spazieren, als sein Handy klingelt. Herr Schmidt vom Jugendamt. Er möchte gern Kontakt zu einem möglichen Pflegekind herstellen. Nils rutscht das Herz in die Hose.

Er trifft Noah noch am gleichen Tag bei einer Bereitschaftsmutter. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, berichtet Nils. „Bei mir jedenfalls.“
Noah ist schüchtern. Nils darf mit ihm ein Legohaus bauen und Ball spielen.

Beim dritten Besuch hat Nils einen Kindersitz im Auto. Die beiden machen einen Ausflug in den Zoo.

„Noah ist die ganze Zeit an meiner Hand gelaufen. Es fühlte sich da schon an, als gehörte er richtig zu mir.“

Nils bringt Noah schweren Herzens zurück zur Bereitschaftsmutter. Aus dem Auto ruft er seine Mutter an. „Ich glaube, du wirst bald Oma“, sagt er ihr am Telefon. Am nächsten Tag fahren sie zu IKEA. „Wir haben drei Tage lang geräumt, renoviert und Möbel aufgebaut, um mein Arbeitszimmer in ein Kinderzimmer für Noah zu verwandeln“, berichtet Nils.

Mitte Dezember zieht Noah ein. Die ersten Tage gehen die beiden ruhig an. Sie spazieren mit Rusty durch den Wald, besuchen die Großeltern oder liegen einfach auf dem Spieleteppich,

Noah feirt gern Weihnachten
Noah feirt gern Weihnachten

schauen Bücher an und bauen Legotürme.

Eine Woche vor Weihnachten schmücken sie den Tannenbaum. „Mein erster eigener Baum“, erzählt Nils stolz. „Ich wollte unbedingt einen haben, wo ich doch plötzlich eine eigene Familie hatte.“ Er sucht auf seinem iPhone alte Fotos heraus. Noah beim Geschenkeauspacken, Noah breit grinsend unter der geschmückten Tanne.

Die Feiertage verbringen die beiden mit Nils‘ Familie.
Noah scheint sich wohl zu fühlen. Er schläft gut. Er isst gut.

Ende Januar hat er den ersten Wutanfall.

Für Nils beginnen schlaflose Nächte. Noah schreit. Er lässt sich nicht beruhigen.

In der dritten Nacht ist Nils völlig am Ende. „Ich konnte nichts machen. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, ihn abzulenken, ihm zuzureden, einfach nur da zu sein. Es half nichts. Noah schrie und wenn er mal vor Erschöpfung einschlief, hatte er Alpträume.“

In seiner Verzweiflung ruft Nils seine Oma an, die bei ihm in der Nähe wohnt. „Es war ein oder zwei Uhr nachts. Sie ist schon über Achtzig und ich hatte ein schlechtes Gewissen, sie mitten in der Nacht zu wecken, aber ich konnte nicht mehr.“ Seine Oma kommt sofort. Abwechselnd wachen sie an Noahs Bett.

Nils erinnert sich an das Pflegekinderseminar. „Da hatten sie uns das erklärt. Viele Pflegekinder sind zu Beginn eher angepasst, weil sie froh sind, dass sich endlich jemand um sie kümmert. Nach ein paar Wochen brechen dann unterdrückte Traumata wieder auf. Sie haben oft starke Verlustängste und fassen nur schwer richtig tiefes Vertrauen“, erzählt Nils. Für ihn und Noah beginnen schwierige Wochen. Jeden Abend kehren die Wutanfälle zurück. Mit ihnen die Alpträume. „Manchmal war ich kurz davor, ihn anzubrüllen. Meine Nerven lagen einfach blank. Aber ich habe es geschafft, ruhig zu bleiben und ihm zu signalisieren, dass ich für ihn da bin.“

Nils meldet sich nochmal bei Herrn Schmidt und erzählt von Noahs nächtlicher Wut. „Die beim Jugendamt kennen dieses Phänomen. Oft soll Kontakt zur Herkunftsfamilie solche Phasen auslösen. Dann sind die Kinder verwirrt oder verängstigt. „Bei uns kann das aber nicht der Grund gewesen sein.“ Nils nippt an seinem Kaffee. „Noah hat keinen Kontakt zu seiner Mutter.“ Er denkt nach. „Leider“, fügt er hinzu.

Keinen Mama-Mythos aufbauen

„Ich war von Anfang an dafür, ganz offen damit umzugehen und ihm nichts zu verheimlichen. Ich habe mir vorgenommen, derjenige zu sein, der ihm immer die Wahrheit sagt.“ Noahs Vater ist unbekannt. Das Jugendamt weiß nur, dass er Nordafrikaner ist. Seine dichten dunklen Locken und die großen braunen Augen hat Noah von ihm.

„Ich zwinge Noah nicht, mich `Papa` zu nennen. Manchmal sagt er das, das freut mich auch, aber es ist völlig okay, wenn er mich Nils nennt.“

Noah hat noch mindestens zwei ältere Brüder, die auch bei Pflegeeltern leben. Nils hofft, dass Noah seine Brüder irgendwann kennenlernen kann. „Noahs Mutter ist schwer psychisch krank. Sie zeigt keinerlei Bindung zu ihren Kindern, wurde selbst als Kind stark vernachlässigt.“

Die Möglichkeit, dass sie Noah irgendwann zurückhaben will, gibt es theoretisch. „Ich glaube das aufgrund ihrer Geschichte aber nicht“, sagt Nils.

Ob er meint, dass Noah später Probleme haben wird? „Ich bin ja nicht naiv“, sagt Nils. „Ich würde einen Kontakt zur Mutter befürworten. Jeder möchte doch wissen, wo er herkommt Allerdings möchte ich auch, dass er ein realistisches Bild von ihr bekommt und keinen Mutter-Mythos aufbauen. Ich sage ihm, dass er eine Mama hat, die ihn lieb hat aber schwer krank ist und sich deshalb nicht um ihn kümmern kann.“

Noahs Wutanfälle werden weniger. Nach einigen Wochen ebben sie ganz ab. „Danach war er auch ab und zu mal wütend. Auch heute noch. Er schmeißt sich auf den Boden, er schreit. Aber welches Kind macht das nicht?“, fragt Nils und lacht dabei.

Nils möchte Noah so viel Normalität bieten, wie möglich. Der Alltag der beiden ist gut durchgeplant. Nils steht um 6:30 auf, um kurz vor acht bringt er Noah in die Kita. Nils arbeitet in Teilzeit. „Es ist schon stressig. Wie bei allen Alleinerziehenden. Wenn ich mal krank werde, wird es schwierig. Ohne meine Familie wäre ich manchmal aufgeschmissen“, sagt er.

Während wir an Nils‘ Küchentisch sitzen, ist Noah mit seiner Oma unterwegs. Nils Familie hat Noah herzlich aufgenommen und ist hin und weg von ihrem Enkelsohn.

Einen Abend in der Woche hat Nils für sich, dann sind Oma oder Opa da und er geht zum Sport oder trifft sich mit Freunden. Ansonsten bestimmt Noah das Leben des 33-Jährigen.
Der Partnerwunsch stehe erstmal hinten an, sagt Nils.
Dass er oft auf seine sexuelle Orientierung angesprochen wird, wenn er erzählt, dass er einen Pflegesohn hat, findet er überflüssig.

„Ich binde Noah nicht auf die Nase, dass ich schwul bin. Der Junge ist fünf, der kann damit doch gar nichts anfangen. Aber ich werde es ihm auch nicht verheimlichen. Sollte ich mal einen Partner haben, mit dem es ernst wird, werde ich die beiden einander vorstellen. Ich wünsche mir einfach nur, als alleinerziehender Papa wahrgenommen zu werden, dass ich schwul bin, hat damit ja nichts zu tun.“

Ein ungleiches Paar

Nils weiß, dass die Leute das ungleiche Paar manchmal beäugen. Ein weißer Vater mit einem dunkelhäutigen Jungen, immer ohne Partnerin unterwegs. „Die meisten gucken aber nur und fragen nicht. Ich glaube, die trauen sich nicht und vermuten lieber. Die Partnerin ist gestorben, die Mutter ist durchgebrannt – was weiß ich, was die Leute sich zusammenreimen“, sagt Nils und schüttet noch einen Kaffee nach. „Mich kann jeder fragen, ich bin ganz offen und antworte ehrlich, allein schon Noah zu Liebe.“

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Noahs Geburtstagskuchen

Nils wünscht sich, nicht als Sonderling behandelt zu werden. „Umso sonderbarer man uns behandelt, umso sonderbarer wird es doch.“

Manchmal hat Nils ein schlechtes Gewissen, wenn er Noah in die Kita bringt, um zur Arbeit zu fahren. „Ich merke auch, dass ich an meine Grenzen komme. Aber das ist doch bei allen Eltern so, vor allem, wenn einer allein die Verantwortung trägt.“

Finanziell geht es den beiden ganz gut. Durch seine pädagogische Ausbildung ist Nils nicht nur Pflegevater, sondern hat den Status einer Pflegestelle. Dadurch bekommt er etwas mehr Pflegegeld. Das wird ihm gewährt, bis Noah 18 Jahre alt ist. Zudem liegt die Vormundschaft für Noah weiter beim Jugendamt. Nils darf zwar Entscheidungen des alltäglichen Lebens selbst treffen, bei größeren hält er vorher Rücksprache mit seinen Ansprechpartnern beim Amt. Dazu gehören z.B. die Schulwahl, größere Reisen, oder auch planbare Operationen.

Ein bisschen Sicherheit gibt Nils der Kontakt zum Jugendamt. Einmal im Monat klingelt er bei Herrn Schmidt durch und erzählt, was gerade bei Noah los ist, wie er sich entwickelt.
Und da hat er momentan meist Gutes zu berichten.

Den Pflegekind-Stempel abwaschen

„Bevor Noah zu mir kam, hat die Bereitschaftsmutter gesagt, er sei ein schwieriges und aufmüpfiges Kind, das strenge Regeln braucht“, erzählt Nils. „Mein Eindruck war, dass sie mit Noah nicht warm geworden ist. Ich habe ihr gesagt, ‚der braucht vielleicht Regeln, aber ganz sicher braucht er erstmal Liebe‘“, sagt Nils und schaut aus dem Küchenfenster, an dem weihnachtliche Goldfoliensterne kleben und hinter dem gerade die Sonne untergeht.

Noah gilt als entwicklungsverzögert und geistig retardiert, als Nils ihn bei sich aufnimmt. Heute ist er sich sicher: „Noah brauchte einfach jemanden, der sich um ihn kümmert. Es ist doch kein Geheimnis, dass Kinder, die vernachlässigt werden, nicht richtig gedeihen und ihre Potentiale nicht entfalten können.“

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Noahs liebstes Ausflugsziel: Der Zoo

Noah ist altersgemäß entwickelt. Im Kindergarten hat er Freunde gefunden. „Ihm haftet eben der Pflegekind-Stempel an“, sagt Nils. „Ich sehe jeden Tag Kinder, die ohne Frühstück und ungepflegt in die Kita kommen, und die wachsen bei ihren leiblichen Eltern auf.“

Nils größter Wunsch ist es, dass Noah nicht stigmatisiert, verurteilt oder gar gehänselt und gemobbt wird. „Er ist ein dunkelhäutiger Junge, der bei einem schwulen alleinerziehenden Pflegevater aufwächst. Ich sehe da leider viel Potential für Probleme“, ist Nils sicher.
Er seufzt.
„Dabei heißt Pflegekind bei mir vor allem: Wunschkind.“

 

*alle Namen geändert

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