„Blöde Mama! Blöder Papa! Blöde Schwester! Blöd! Blöd! Alle blöd!“, schrie meine Tochter mich an. Sie hatte die Nachricht wie erwartet nicht so gut aufgenommen. Schluchzend ließ sie sich in meine Arme fallen. Heulte theatralisch auf. „Warum? Warum?“, rief sie. Bäumte sich auf. Ließ sich wieder sinken. Wechselte zwischen tiefer Trauer, purer Verzweiflung und kochender Wut. „ICH! WILL! ABER! ZUR! VORSCHULFAHRT!“
Mama macht ein Versprechen…
Sehr vorsichtig hatte ich ihr erklärt, dass sie nicht mit zur Abschlussfahrt ihrer Kita fahren könne. Auf diese Fahrt in eine (mit gut drei Kilometern unfassbar weit von Zuhause entfernte) Jugendherberge hatte sich die Vorschulgruppe schon das ganze Jahr über gefreut. Noch ein gemeinsames Abenteuer vor dem Event des Jahres: Der Einschulung. Leider fiel die Vorschulfahrt mitten in den Zeitraum unserer vierwöchigen Familienreha in Österreich. Die Aussicht auf vier Wochen Erholung in den Bergen mit viel Natur, Wanderungen und klaren Bergseen löste in ihr scheinbar nicht die gleiche Vorfreude aus wie in mir. Das Kind weinte bitterlich. „Ich hasse die Berge!“ Mit ihrer Verzweiflung stieg meine. „Okay, okay, du darfst dir irgendwas wünschen, egal was!“, versprach ich. Sie blickte mich durch ihren Tränenschleier an. Zog bedeutungsvoll die Nase hoch und schluchzte: „Alles?“
Also versprach ich, um ein Lächeln bemüht, sie dürfe die gesamte Vorschulgruppe (es sind ja nur 23 Kinder!) für ein Wochenende zum Zelten in unseren Garten einladen. Das trocknete die Tränen ein wenig.
Eine Party zur Einschulung? Seid ihr verrückt?
Ich litt unter schlaflosen Nächten ob dieser undurchdachten Zusage. Träumte vom Pfandfinderlager mit Feldküche in unserem Garten. Immerhin durften sie noch keinen Alkohol trinken. Mit meinen über die Jahre erprobten mütterlichen Bestechungsmethoden (Eis, Spielzeugladen, Fernsehen) konnte ich sie dann von der wilden Übernachtungsparty im Garten auf eine Normalmaß-Feier herunterhandeln.
Es steigt also bei uns: Die Vorschulparty! Mit fünf geladenen Gästen. Die meisten Menschen, denen ich von der Vorschulparty erzählte, erklärten mich für verrückt. Die Kinder werden schon genug verwöhnt. Feiert man jetzt schon mit sechs Jahren Partys? Völlig übertrieben. Nur wegen der Einschulung? Aber hey, warum nicht einfach mal die Feste feiern, wie sie fallen? Vielleicht gibt es Kitas, in denen es keine Abschlussfahrt für alle Vorschulkinder gibt. Dann könnte man die Feier einfach mit mehreren Eltern organisieren. Oder man hat einfach mal große Lust, sich ein halbes Dutzend Vorschulkinder in die Bude einzuladen. Solche Leute soll es ja geben.
Wir brauchen:
– Eine Handvoll Vorschulkinder
– Kuchen und Muffins
– Eine Schatzsuche
– Eine Kinderdisco-Playlist
– Spaghetti mit Tomatensauce
– Eine Flasche Sekt, zu öffnen, wenn alle abgeholt sind
Die Entscheidung für die Party war gefallen. Irgendwie mussten wir also die Bande einen Nachmittag lang bespaßen. Schatzsuche oder Schnitzeljagd kommen ja immer gut an bei Kindern. Einen thematischen Bezug zur Einschulung sollte es auch geben. Also schickten wir sie mit Fake-News auf die Suche nach der Goldenen Schultüte.
Die Story: Goldene Schultüte geklaut! Einschulung in Gefahr!
Den ersten Beweis der Schulreife traten die Gäste sofort an: Alle standen pünktlich um 15:30 Uhr bei uns auf der Matte. Während des Kuchenessens erfahren die Kinder aus einem mir plötzlich in die Hände fallenden Zeitungsausschnitt, dass ein böser Kobold die Goldene Schultüte geklaut hat. (Mit dem Newspaper Clipping Generator kann man das in dieses Old-School-Medium aus der eigenen Kindheit transferieren.)
Essen. Schreckliche Nachrichten aus dem Schulministerium: Die goldene Schultüte ist verschwunden! Laut Schulministerin Steffi Strebsam wurde sie in der vergangenen Nacht aus der Schulzentrale entwendet. Die goldene Schultüte sorgt seit Jahrtausenden mit ihren magischen Kräften dafür, dass die Schultore auf der ganzen Welt jedes Jahr pünktlich zur Einschulung für alle Schulkinder gleichzeitig geöffnet werden können.
Das Ministerium geht davon aus, dass der grimmige Kobold Edgar von Blaumachhausen die goldene Schultüte geklaut hat. Darauf deutet ein Erpresserschreiben hin, das unserer Zeitung vorliegt. Die Forderungen sind eindeutig: „Hallo Menschen! Ich habe eure Goldene Schultüte! Schickt eine Gruppe Vorschulkinder los, die beweist, dass die Kinder von heute schlau genug sind, um in die Schule zu gehen. Sie müssen meinen Hinweisen folgen, um den richtigen Weg zur Goldenen Schultüte zu finden. Dann gibt es die Schultüte zurück und auch eine Belohnung. Keine Polizei. Keine Presse. Wenn sie es nicht schaffen, müssen eure Kinder in Blaumachhausen für die Koboldkinder die Kinderzimmer aufräumen und kriegen ein Jahr lang nur Vollkornnudeln mit Broccoli zu essen.“
Das Schulministerium und alle Eltern sind in Aufruhr. Das Schulministerium sucht daher eine Gruppe mutiger Vorschulkinder, die die goldene Schultüte zurückerobern kann. Der Kobold hat die Schultüte gut versteckt, aber er hat auch eine Spur gelegt, der die Kinder folgen können. Als Belohnung wartet der Schatz der Kobolde auf sie. „Und sie dürfen natürlich zur Schule gehen“, betont die Ministerin.
Schnitzeljagd für angehende Schulkinder
Die Kinder sind tatsächlich aufgeregt, als sie die Nachricht hören. Sie stopfen die letzten Krümel ihrer Muffins in den Mund und stürmen zu Tür. Los geht die Schatzsuche. So schnell haben sie sich noch nie ihre Schuhe angezogen. Fast alle richtigherum. An der Haustür klebt ein Briefumschlag mit der Nummer 1. Da wir keinen hochbegabten Fünfjährigen dabei hatten, der die Hinweise hätte vorlesen können, mussten wir auf Fotos zurückgreifen.
Nächste Station: Telefonzelle
Die sechs Stationen der Schnitzeljagd nach der goldenen Schultüte lagen alle in unserem Viertel. Rund um die bald ehemalige Kita. Hier kennen die Kinder sich gut aus. Die Ziele hatte ich zuvor fotografiert (das erledigt die Mutti von heute natürlich ganz nebenbei auf ihrer Joggingrunde). Die Bilder steckten entlang der Strecke in Briefumschlägen. In jedem Umschlag steckte das Bild des nächsten Ziels. An einer Station fanden die Kinder beispielsweise einen Umschlag mit dem Bild einer Telefonzelle und ein 50-Cent-Stück sowie einen Zettel mit einer Telefonnummer, unter welcher der Kobold zu erreichen war.
Die Kinder haben sich zwar etwas über diese mittelalterliche Art der Kontaktaufnahme gewundert, aber es dann erstaunlich schnell geschafft, den Kobold darüber zu erreichen. Der schickte sie prompt zur vorher eingeweihten Eisdiele unseres Vertrauens. Dort hatten wir zuvor den nächsten Hinweis deponiert und Eis vorbestellt. Die Kinder waren allerdings so aufgedreht, dass sie sogar das Eis ausschlugen, um möglichst schnell die goldene Schultüte zu finden.
Unterschätze niemals die Energie einer Horde Vorschulkinder
Damit sind die Kinder locker eine Stunde beschäftigt, so hatte ich es geplant. Doch weit gefehlt. Erkenntnis des Tages: Unterschätze niemals die Energie und den Ehrgeiz einer Gruppe von Vorschulkindern, die du zuvor eigenhändig mit Muffins und Limo aufgeputscht hast. Keine zwanzig Minuten nach dem Startschuss war die goldene Schultüte gefunden und die Einschulung gerettet. Die Party war allerdings noch für zwei weitere Stunden angesetzt. Da kamen wir kurz ins Schwitzen: Noch zwei Stunden mit einer Horde aufgepeitschter Kinder ist nicht unbedingt die Traumvorstellung eines entspannten Sonntagnachmittags.
Aber da sie nunmal alle da und motiviert waren, ging es weiter im Programm: Eierlaufen im Garten gibt dem Papa die Chance, kurz die Kulissen von „Esszimmer“ auf „Kinderdisco“ zu ändern: Reise nach Jerusalem und Stopptanzen gehen immer. Und wenn uns mal nichts einfällt, setzen wir auf das pädagogisch ausgefeilte und gut durchdachte Konzept des „Freispiels“ – oder in der verschärften Version, des „Freitobens“. Daraus entstand eine bilderbuchmäßie Kissenschlacht und während die Spaghetti garten, gab es zum Runterkommen Pantomime und Rätselraten.
Schon stand das Abendessen auf dem Tisch. Keines der Kinder ließ sich von den drei bis fünf Muffins aufhalten, die es keine zwei Stunden zuvor verputzt hatte. Als Punkt 18:30 Uhr die Eltern klingelten (endlich – der Sekt ist in Sichtweite), um die schulreife Bande abzuholen, zeigte sich der wahre Erfolg der Party. Alle Kinder versteckten sich, um noch ein bisschen bleiben zu dürfen.
Am Abend lag das angehende Schulkind müde und – wie ich vermutete – glücklich im Bett. „Hat es dir gefallen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Sie grinste breit und nickte. Aber schon verdunkelte sich ihre Miene wieder. Die Mundwinkel wanderten nach unten. „Aber Meine Einschulung soll trotzdem ausfallen! Ich will nächstes Jahr zur Vorschulfahrt!“
Eine wahnsinnig schöne Idee! Hut ab.
Wir stehen auch vor der Einschulung und ich bin auf der Suche nach Rätseln für die Schnitzeljagd. Wären sie bereit ihre Ideen mit mir zu teilen?
Ich wünsche einen schönen Sommer.