Das Mamiversum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2019. Dies sind die Abenteuer des Mutterschiffs, das mit seiner vier Mann starken Besatzung seit fast sieben Jahren unterwegs ist und fremde Galaxien (Indoorspielplatz, Elternrat) erforscht und neue Zivilisationen (in Brotdosen und Regenjackentaschen) entdeckt. Viele Lichtjahre von seinem alten Leben entfernt, dringt das Mutterschiff in Galaxien vor, die nie ein Kinderloser je gesehen hat. Heute: Der Kinderflohmarkt.
Kinderflohmarkt: Schlecht erhaltene Kleidung in schlecht gelüfteten Räumen
Das Leben mit Kindern ist einfach magisch! Man kann aus einem Kinderzimmer fünf Umzugskartons mit Spielsachen rausräumen, ohne dass es auffällt. Aus dem Kinderkleiderschrank verschwinden säckeweise Klamotten, ohne, dass dieser jemals leer wird. Für all diese magischen Dinge gibt es einen magischen Ort: Den Kinderflohmarkt. Jeden Herbst und jeden Frühling macht Mutti den selben Fehler und schreibt nach 27 Erinnerungen in der Kita-WhatsApp-Gruppe doch noch ihren Namen auf die Kinderflohmarkt-Liste. Die Standmiete kommt ja der Kita zu Gute und auf der Einladung stand etwas von Kuchen. Zu spät liest sie, dass sie diesen erst noch selber backen und der Flohmarkt-Cafeteria spenden muss. Am besten natürlich ohne Backmischung, ohne Zucker und ohne Rauchentwicklung in der heimischen Küche.
Kinderflohmarkt schult den Charakter
Zusammen mit einem klapprigen Tapeziertisch schleppt Mutti also den Kuchen und das ganze Gerümpel und Gelumpe am Samstag um 8 Uhr in die Kita. Der anfängliche Zauber und die Aussicht auf ein bisschen Taschengeld verpuffen schnell. Die Kunden des Flohmarkts sind eher der dunkeln Seite der Macht zuzuordnen. Wie Dementoren fallen sie schon vor der offiziellen Öffnungszeit in die Kita ein und lassen Bilder vom Winterschlussverkauf in den 90er Jahren wieder aufleben. Schnell ist klar: Ziel ist es, nicht, Dinge zu verkaufen, sondern seine Charakterstärke zu trainieren: Lass dich einen Vormittag lang abschätzig mustern, ohne zu weinen.
Szenarien der Demütigung
Die Szenarien der Demütigung auf dem Kinderflohmarkt sind immer die gleichen:
„Was habt ihr den da drauf gekleckert?“, fragt die Spätgebärende in Burberry-Trenchcoat. Sie wischt mit hinuntergelassenen Mundwinkeln und gekräuselten Lippen über die verblassten Wendepailletten eines fleckigen No-name Longsleeves.
„Geht das auch für Dreifuffzig?“, fragt die stolze Supermutter, die den Preis des Marken-Kapuzenpullis drückt und dann mit frisch manikürten Händen einen Fuffi aus ihrem Luis Vuitton Portemonnaie zaubert.
„Halt, Erna-Amalia und Melchior-Rasputin! Das legt ihr nun bitte zurück. Wir haben uns doch bereits heute morgen einvernehmlich darauf geeinigt, dass wir kein Plastikspielzeug in unsere Kinderzimmer lassen möchten! Ich weiß ja auch nicht, wer mit sowas spielt!“
Die Hater im echten Leben sehen
Eigentlich möchte auf dem Kinderflohmarkt niemand wirklich etwas verkaufen. Wir möchten nur mal diese Menschen im echten Leben sehen. Die, die uns Nachrichten schicken, wenn wir die Schnapsidee hatten, online Kindersachen verkaufen. Nachrichten wie „Preis??? Dein Ernst?? Ich gebe 1 Euro mit Versand!“ oder „Am rechten Ärmel in Höhe des Ellenbogens ist so ein Schatten zu sehen, wenn man ganz nah ranzoomt. Ist das ein Fleck? Wenn ja, was ist es? Geht das raus? Kannst du das Shirt bitte mal waschen und mir nochmal Feedback geben? Wenn der Fleck dann raus ist, würde ich es für 2,50 nehmen, gebügelt bitte!“ oder „Kannst du mir den Kaufladen vielleicht vorbei bringen? Ich wohne am A*** der Heide und fahre nicht so gern Autobahn mit zwei Kindern! Und ist am Preis noch was zu machen?„
Der Kinderflohmarkt als soziales Experiment
Ganz sicher sitzen hinter dem Turnhallenspiegel bei jedem Kita-Flohmarkt Psychologie-Studentinnen und protokollieren alles ganz genau. Das Konzept Kinderflohmarkt muss sich mal jemand ausgedacht haben. Jemand der sonst im Labor sitzt und grinsend Ratten Stromstöße versetzt. Der Flohmarkt im Kindergarten muss eines dieser Sozialexperimente sein. Das Setting wirkt auch arg konstruiert. Die eifrigen Psychologie-Studentinnen lauern darauf, dass die Lager sich splitten. In Sadisten (getarnt als Kunden) und Masochisten (getarnt als übernächtigte Muttis an wackeligen Tapeziertischen, die so bekloppt sind, sich an einem Samstag auf den Flohmarkt zu stellen, obwohl sie schon einen richtigen Job haben). Dauerte ein Kinderflohmarkt länger als bis 13 Uhr, die Lage eskalierte sicher. Aber bevor es soweit kommt, tun alle Beteiligten das, was Menschen immer tun, damit eine Lage nicht eskaliert: Wir lügen und lassen uns belügen.
Die zehn häufigsten Lügen auf dem Kinderflohmarkt
- Schöne Sachen!
- Damit hat meine Tochter immer gern spielt
- Quasi ungetragen
- Alles frisch gewaschen
- Klar, wir können gern handeln
- Ich habe nur 2,50 Euro klein
- Der Kuchen ist richtig saftig
- Das geht beim Waschen raus
- Wir kommen gleich nochmal wieder
- Bin echt viel losgeworden